Backstage: Handynummern

Thilo
16.08.2012 39 4:30 min

So unerfreulich der Anlass bei allem Ärger und Problemen für alle Beteiligten auch gewesen sein mag – zwei positive Aspekte hatte der Ausfall der Mobilfunkrufnummern im Produkt sipgate one letzten Freitag für uns: Wir haben viel Verständnis von Nutzern erhalten und grosses Interesse an der Situation vorgefunden. Wir wollen daher einen Blick hinter die Kulissen bzw. in die Abgründe der regulatorischen Situation in Deutschland ermöglichen – weniger des schönen Anblicks, als der über Jahre gereiften Erkenntnis wegen, dass Tageslicht nur helfen kann.

Bereits 2005 haben wir erste Gespräche mit der Bundesnetzagentur (BNetzA), die damals noch auf den Namen RegTP hörte, geführt, um die Modalitäten für die Zuteilung von Handynummern (MSISDN) in Erfahrung zu bringen. Schon damals sah der europäische Rechtsrahmen für Telekommunikation, zu dessen Umsetzung in nationales Recht sich alle EU-Mitgliedsstaaten verpflichtet haben, eine Trennung zwischen so genannten Telekommunikationsnetzen und Telekommunikationsdiensten vor. In Brüssel hatte man ganz offensichtlich verstanden, dass die Entwicklung von Diensten durch kreative und innovative Privatpersonen und Unternehmen nur dann erfolgreich sein kann, wenn sie nicht durch Netzbetreiber ausgebremst wird. Würden Netzbetreiber auf den Abschluss von Verträgen mit Diensteanbietern zur Nutzung der bereits durch die Endkunden bezahlten Zugänge bestehen, gäbe es heute kein Twitter, keine Blogs, kein Skype, kein …

Für den Telefonmarkt bedeutet dies ganz konkret, dass nationale Regeln, nach denen Unternehmen Telefonnummern zugeteilt werden, nur an bestimmte, klar definierte Bedingungen geknüpft werden dürfen. Insbesondere ist es den jeweiligen nationalen Behörden untersagt, den Betrieb eines Netzes zur Voraussetzung für die Zuteilung von Rufnummern zu machen, weil es ganz offensichtlich die Regeln konterkariert. Genau dies geschieht jedoch in Deutschland. Unser Wunsch nach Handynummern wurde mit dem Hinweis auf ein fehlendes Mobilfunknetz und einem Schulterzucken abgetan.

Über die Jahre wuchs der Druck auf die Bundesnetzagentur, die Zuteilung von MSISDN neu zu regeln. Neben der steigenden Bedeutung von Mobilfunkdiensten kamen auch andere Unternehmen mit dem Wunsch, MSISDN im Rahmen eigener Produkte zu nutzen, auf die BNetzA zu. Letztlich beugte sich die BNetzA dem Druck und startete im Oktober 2010, also geschlagene fünf Jahre später, eine Anhörung zur Neugestaltung der Regeln.

Wenig überraschend gab es Widerstand gegen den Einlass weiterer Wettbewerber genau von den Unternehmen, die bereits Zutritt zum deutschen Mobilfunkmarkt erhalten hatten. Um das Problem ein wenig hinauszuschieben, behalf sich die Behörde eines Tricks. So veröffentlichte sie im Februar 2011 neue Regeln, nach denen zwar prinzipiell weitere Unternehmen Zugang zu Handynummern und damit zum Markt erhalten – jedoch erst nach Ablauf einer Frist, die mittels einer gesonderten Anhörung bestimmt werden sollte. Selbstredend wurde bis zum heutigen Tage, fast zwei Jahre nach dem Start der Anhörung, jedoch nicht einmal dieses Datum festgelegt, zum dem die neuen Bestimmungen in Kraft treten sollen. Dies erscheint besonders abwegig, wenn man bedenkt, dass die BNetzA bereits bei der Veröffentlichung der geänderten Regeln im Februar 2011 davon ausging, dass diese schlicht rechtswidrig sind. So heisst es in der Meldung 65/2011 im Amtsblatt der Bundesnetzagentur (Seite 8, Punkt 2.4) wörtlich:

¨Für eine Erweiterung [des Kreises der Antragsberechtigten] spricht, dass derjenige, der einen Dienst anbietet auch Zuteilungsnehmer der hierbei genutzten Nummern werden sollte. Bei Ortsnetzrufnummern ist dies bereits der Fall. Für eine Ungleichbehandlung im Mobilfunk- und Ortsnetz besteht keine Grundlage.“

Für sipgate war die Situation Anfang 2011 damit besonders unbefriedigend. Die Bundesnetzagentur hatte gezielt die Entstehung eines Marktes für Handynummern, wie er für Festnetzrufnummern seit langer Zeit existiert, verhindert. Mit der Firma Telogic gab es nur ein einziges Unternehmen im Markt, über das wir MSISDN erhalten konnten. Jedoch waren wir einerseits in der Nutzung der Rufnummern eingeschränkt und andererseits vollkommen von dem wirtschaftlichen Erfolg dieses Unternehmens abhängig. Es war klar, dass bei einem Wegfall der Rufnummern kein kurzfristiger Ersatz geschaffen werden könnte. Genau aus diesem einem Grund handelt es sich bei sipgate one leider auch 18 Monate nach der Freischaltung erster Nutzer um ein Testprodukt, zu dem eine Anmeldung nicht ohne weiteres möglich ist.

Als Folge der Situation legten wir, schon allein mangels Alternativen, Widerspruch gegen die Regeln ein. Daraufhin geschah nichts. Gar. Nichts. Nicht einmal eine Eingangsbestätigung war der BNetzA unser Widerspruch wert. So reichten wir 9 Monate später Klage vor dem Verwaltungsgericht Köln ein. Erst im Rahmen dieses Verwaltungsgerichtsverfahrens hielt es die Bundesnetzagentur für angebracht, sich zu unserem Widerspruch zu äußern und belehrte uns, dass an unserem Widerspruch nichts dran sei.

Erfreulicherweise ist es mittlerweile einem Schwesterunternehmen der sipgate gelungen, Mobilfunknetzinfrastruktur zu errichten und an andere Netzbetreiber anzubinden. Im Rahmen dieses Mobilfunknetzes kann sipgate dann auch endlich über Mobilfunknummern verfügen. Bis zum fertigen Produkt wird zwar noch einige Zeit vergehen, aber es scheint absehbar, dass wir nicht durch einen jahrelangen Rechtsstreit weiter am Marktzugang gehindert werden.

Im Ergebnis: sipgate wird Mobilfunkprodukte anbieten – nur eben sieben Jahre später als geplant.

 

39 Kommentare


Jason:

Ich würde es dennoch begrüssen wenn Sipgate — oder ein anderes, vielleicht noch grösseres Unternehmen — diesen Rechtsstreit mal bis zuletzt ausfechten würde. Dem deutschen Mobilfunk-Markt würde damit meiner Meinung nach ein großer Gefallen getan. Und es würde der BNetzA endlich mal zeigen, das Unternehmen deren Entscheidungen nach Gutdünken nicht akzeptieren. Leider gibt es in der BNetzA immer noch das alte Herrschaftsdenken frei nach dem Spruch „Das Gesetz bin ich“ — was will man von Beamten allerdings auch anderes erwarten.

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Tom:

Warum initiiert Ihr nicht eine Online Petition an den Deutschen Bundestag? Eventuell mit Teltarif, wenn die nicht von ihren Sponsoren zu sehr abhängen.

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Renne:

@Sipgate

Schildert Neelie Kroes doch mal das bürger- und wettbewerbsfeindliche Fehlverhalten der BundesNutzlosAgentur! ;)

Wenn es nur nach der BNutzA ginge, würden wir heute noch Buschtrommeln benutzen. :(

P.S: Teilnehmernetzbetreiber, die keine Verantwortung übernehmen und Störungen auf „die Geräte“ des Kunden schieben, sind heute ja leider an der Tagesordnung. :(

Deshalb finde ich es super, dass Ihr Probleme offen kommuniziert! Dadurch wissen wir Nutzer, woran wir sind und können sinnvoll planen, statt Fehler teuer an falschen Stellen zu suchen. :)

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Bob:

Danke für die Hintergrundbeleuchtung… sowas ist immer interessant.. von mir aus gerne mehr solcher Beiträge bitte!

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Jan:

Vielen Dank für die Hintergrundinfos! Ich bin trotzdem mit Eurem Service sehr zufrieden.

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Lisa:

Vielen Dank für den ausführlichen Artikel!

Die Situation an sich ist mehr als ärgerlich – aber eure Art der Kommunikation verhindert zumindest Frust auf Seite der User.

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Daniel:

Armes Deutschland eben. Da hilft nur eins, eine Firma in einem anderen Land gründen und dort andere Wege gehen um an Nummern ran zu kommen. Am besten noch die kompletten Umsätze abziehen damit Deutschland keinen Cent sieht. Hauptsächlich Deutschland ist bekannt Firmen oder anderen Personen diverse Steine in den weg zu legen damit man bloß nicht auf die Idee kommt mit neuen Innovativen Ideen Geld zu verdienen. Innovationsbremsen hoch 3.

Ich hoffe das ändert sich mal, irgendwann…

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Besetzt Lampen Feld:

Sieben Jahre – die Zeit hätte man sinnvoller ver(sch)wenden können.
Für die Implementierung des seit Jahren angekündigten BESETZTLAMPENFELDES zum Beispiel.

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Marc:

@Daniel: Ein anderes Land würde sicherlich auch anderen Nummern + Vorwahl + evtl. Gebühren für Auslanddsgespräche bedeuten.

Schon beim erscheinen von Sipgate One war ich sehr angetan von der Idee, eine Rufnummernweiterleitung zu mehreren Geräten einrichten zu können. Endlich unter einen zentralen Nummer erreichbar sein – dass die BNetzA da entsprechende Steine in den Weg legt hätte ich mir schon denken können – genau wie große Telefonunernehmen stetig um ihre Leitugnshoheit kämpfen.

Ich sehe das ähnlich wie Jason – wenn es auf dem friedlichen Wege nicht geht sollte man den gerichtlichen Weg durchstehen.

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Tim:

Genau deswegen liebe ich euch Sipgate-Team. Offen ehrlich transparent. So sollte ein Unternehmenen sein.
Lasst euch nicht entmudtigen. Wenn Ihr weiter somacht, stehen eure Kunden hinter euch.

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Jens-Erik Weber:

Aha, jetzt wissen wir wenigstens, warum Sipgate gar keine andere Wahl hatte, als mit Vistream/Telogic zu kooperieren. Dieser Hinweis wäre auch im Feedback-Forum für Sipgate One angebracht gewesen, wo es u. a. um die schlechte Erreichbarkeit besonders aus ausländischen Netzen und von Web-SMS-Anbietern geht.

Der Grund, warum die Bundesnetzagentur herumzickzt, ist wohl, dass Sipgate One streng genommen kein Mobilfunk-Produkt ist: Wenn sie überhaupt physisch existiert, ist die SIM-Karte irgendwo fest eingebaut, und Anrufe werden nicht nur an eine andere echte Mobilfunknummer, sondern auch ans Festnetz oder Skype weitergeleitet, wobei dann die überschüssigen Interconnect-Gebühren an Sipgaste gehen. Für mich ist das okay, denn so kann Sipgate etwas daran verdienen und den Service dennoch kostenlos anbieten. Aber im Sinne der Idee für Mobilnummern mit den relativ hohen Interconnect-Gebühren ist das vermutlich nicht. Wie läuft das eigentlich bei den auch teureren 0700er- und 032er-Nummern?

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Felix:

Danke für den Artikel.
Ich freue mich darauf, meine Mobilfunknummer irgendwann mal zu Sipgate One zu portieren und das Produkt endlich so zu nutzen, wie es von Sipgate wahrscheinlich mal gedacht war ;)

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Folker:

Vielen Dank an Euch für diese ehrlichen Hintergrundinformationen. Die Veröffentlichungen solcher Mißstände wirken oft Wunder. Die genannte Lobbyisten-Vereinigung fürchte die breite Öffentlichkeit so wie Ungeziefer das Sonnenlicht.

Wieder ein Grund mehr in 2013 die Piraten-Partei zu wählen.

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Bratislav Metulsky:

Tja, das ist unsere Regulierungsbehörde. Exemplarisch für deren Versagen als Dienstleister und Planer ist auch der jüngste Antragsstau für die Genehmigung von über 8000 neuen Mobfilunkantennen (siehe http://www.ftd.de/it-medien/it-telekommunikation/:mobilfunk-bund-bremst-ausbau-von-mobilfunk/70077758.html) – da zahlen die Netzbetreiber also € 4 Mrd. für die Lizenzen, bekommen auch noch Auflagen die Netze schnell auszubauen und dann ist die BNetzA plötzlich ganz überrascht, daß die Netzbetreiber auch noch Genehmigungsanträge für die Antennenstandorte stellen.
Man sollte mit diesen Mißständen breit in die Öffentlichkeit gehen und dem Steuerzahler darlegen, wie der von seinem Geld entlohnte Beamtenapparat den Wettbewerb verhindert und dem Verbraucher damit Preissenkungen vorenthält.

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Udo:

Ich sehe das genau so wie mein Vor-Kommentator Folker. Das Problem liegt im Lobbyismus. Und das ist nicht nur ein Problem der BNetzA, sondern zieht sich bis nach oben in die Regierung. Deshalb ist die Situation so wie sie ist. Bedenkt man, dass sich die Bundesregierung seit 7 Jahren erfolgreich weigert, die UN Konvention gegen Korruption zu ratifizieren, braucht es wohl keinen weiteren Kommentar. Wir sind halt die geduldigen Schafe, die alles hinnehmen, aus Angst etwas zu verlieren, was wir schon lange nicht mehr besitzen. Ich nenne da nur Menschenwürde und Freiheit. Wir sollten uns endlich, der uns von Gott gegebenen Macht, bewußt werden, unser Schicksal selbst in die Hände nehmen und etwas dagegen unternehmen, statt nur lamentieren und abwarten. Das wir Macht haben, zeigt die Verfassungsklage gegen den ESM und den Fiskalpakt (das neue Enteignungspaket für Deutschland). Auch wenn noch nicht endgültig, wurde die Unterzeichnung durch den Bundespräsidenten erst mal ausgesetzt.

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Andreas:

Vielen Dank für die Hintergrundinformationen. Man konnte sich sowas ja schon fast denken. Es wäre auch zu schön gewesen, wenn die Bundesnetzagentur einmal im Interesse der Bürger handeln würde.
Stattdessen werden lieber Innovationen die anderweitig schon Standards sind um Jahre oder Dekaden aus gebremst. Ein Musterbeispiel dafür das in Deutschland anscheinend Innovationen nicht durchsetzbar sind. Aber macht ja nichts wir haben noch den Lobbyismus

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Andreas Brus:

Vielen Dank für die Informationen. Die Idee einen Sendemasten aufzustellen und einen Netzknotenpunkt anzubinden ist sicher schon älter, aber wer weiß welche Mindestverfügbarkeit man dann wieder nachweisen muss und was die theoretische Nutzung der Frequenzen für ein Geld kostet. Aber der Weg scheint doch für Deutschland der einzig Gangbare zu sein.

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KlausH:

Vielen Dank für den ausführlichen Bericht. Die Idee mit der pedition finde ich gut – bzw. lasst doch mal prüfen welche Mittel möglich sind mit den Verbrauchern im „Rücken“. Dann bin ich sofort dabei.
Ansonsten bin ich sehr zufrieden mit dem Produkt und dem Service. Als ich in der Schweiz war (fast 4 Jahre) habe ich euch dort sehr vermist!

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Fritz P.:

Wäre es eine Hilfe, wenn alle Betroffenen direkt bei der BNA protestieren? Dort muss ja der Wunsch ankommen und öffentlicher Druck entstehen!

Ein vorbereitetes Formblatt für eine Anfrage und Beschwerde auf dieser Site wäre von Hilfe …

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Raus aus Deutschland:

JEDER Mensch und auch Unternehmen sollte Länder als „Service-Center“ sehen.

Vielleicht besteht ja die Möglichkeit, das SIPGATE Handy Telefon Nummern von anderen Ländern in Anspruch nimmt und diese dann dem Deutschen Kunden anbietet?

Klar. das dies ggfs. dann von einer SIPGATE Tochter im Ausland geschieht.
SKYPE bietet ja ähnliches zu erheblichen Gebühren an.

Vergessen Wir doch die unflexible Deutschen-Behörden. Wenn die etwas nicht wollen was WIR wolllen, dann gehen wir MIT DEM WAS WIR WOLLEN dann RAUS AUS DEUTSCHLAND!

Sei es nun Email Anschrift, Handy oder VERMÖGEN!

Hat das hier JEDER verstanden???

Freundliche Grüße von David
in Kambodscha
rausausdeutschland@gmail.com

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