Ist die Kunst offline?

Cornhold
03.04.2020 1 7:05 min

Morgen, am 4. April 2020, hätte in Düsseldorf die Nacht der Museen stattgefunden. sipgate wäre wieder mit dabei gewesen, diesmal mit Lotte Gertz und Charlie Hammond aus Glasgow mit ihrer Ausstellung „ZONE ZONE“. Für uns wäre es das sechste Jahr in Folge gewesen. Dann kam Covid-19 über die Welt und das Rheinland und alle Veranstaltungen wurden abgesagt.

Bereits im März hätten wir bei sipgate shows die Ausstellung „1+1“ des Düsseldorfer Künstlers Peter Josef Abels eröffnet, als Teil des neues Festivals Düsseldorf Photo +. Es war Freitag der 13. und während des Tages häuften sich die Absagen anderer Veranstalter, Ausstellungsräume und Galerien, so dass wir last minute ebenfalls den Stecker zogen. Statt Eröffnungsfeier gab es für den Künstler ein Treffen mit den von ihm eingeladenen Gästen. Getränke blieben im Kühlschrank und gesprochen wurde mit dem jetzt gebührenden Abstand. So schön die Ausstellung geworden ist, so gespenstisch war der Abend und unterschwellig lauerte die Frage: Wie lang geht das jetzt so weiter?

Kurz darauf waren dann auch die meisten Museen geschlossen, dann Geschäfte, Bars, Restaurants. Die Menschen waren aufgefordert, zu Hause zu bleiben, um dieses miese Virus nicht allzu schnell in der Gesellschaft zu verteilen und andere zu gefährden. Von einem Tag auf den anderen war die Welt eine andere und wir mussten uns neu gestalten.

Wie sieht es jetzt für die Kunst aus?

Gearbeitet wird, wenn möglich, im Homeoffice. Alle Veranstaltungen sind zur Zeit abgesagt, egal ob die Lit. Cologne oder das berühmte Glastonbury Festival Ende Juni, das sein 50jähriges Jubiläum auf 2021 verschieben muss, oder halt die Nacht der Museen in Düsseldorf, die gecancelt ist und mit einem künftigen Termin versehen werden soll. Das heißt aber auch, dass alle, die in diesem Bereich arbeiten, von den Veranstalter*innen zur Techniker*in, vom Caterer zur studentischen Aushilfe, keine Einkünfte haben.

Bei der bildenden Kunst ist es so, dass viele in diesem Bereich arbeiten, ohne regelmäßige Einkünfte zu erzielen. Nicht jede Galerie verkauft aus jeder Ausstellung. Wenige Künstler*innen stellen regelmäßig aus, geschweige denn verkaufen ihre Kunst. Ausgaben für Miete, Material oder gar Mitarbeiter*innen sind trotzdem gegebenen. Künstler*innen haben oft weitere Jobs, helfen beim Ausstellungsaufbau oder arbeiten im Bildungsbereich.

Museen sind generell eher auf staatlicher, Landes- oder städtischer Ebene finanziert, die Mitarbeitenden haben im besten Fall einen festen Arbeitsvertrag. Aber die öffentlichen Häuser haben sich in den letzten Jahren stark über ihr Ausstellungsprogramm definiert, über Besucherzahlen und Veranstaltungen – all das fällt gerade flach. So sind auch die Galerien geschlossen und Kunstmessen verschoben. Die Wichtigste, die Art Basel, die Mitte Juni eröffnet hätte und als vielleicht wichtigster Termin im laufenden Geschäft der Galerist*innen und somit im besten Falle auch der hier vertretenden Künstler*innen gilt.

Die Kunst macht sich chic fürs Netz

Es liegt gerade jetzt nah, sich Gedanken über die virtuelle Präsenz von bildender Kunst zu machen. Je nach Gattung sind Werke sehr unterschiedlich gut geeignet. Fotos sehen schnell aus wie Handyfotos, jedes gemalte Bild scheint erstmal ähnlich groß, Skulpturen wirken eher flach. Von Materialien, die man auch riecht, wie Ölfarbe, Holz etc. ganz zu schweigen oder von Nachbarschaften, Räumen, Ausstellungsarchitekturen.

Galerien, die es sich leisten können, eröffnen Online Viewing Rooms, unter Hochdruck werden Webseiten neu gestaltet, Werke digitalisiert, Künstler*innen mit ihren Werken auf Social Media präsentiert. Es gibt eine unvorstellbare Bandbreite: von online veröffentlichten Briefen etablierter Künstler*innen an ihre „Blue Chip“-Galerist*innen in New York, die der aktuellen Situation durchaus auch Positives abgewinnen können (die Ruhe zum Arbeiten, Lesen etc.), die eine gewisse finanzielle Unabhängigkeit vermuten lassen, bis hin zur Instagram-Initiative „Artist Support Pledge“ des Künstlers Matthew Burrows. Eine Aktion für diejenigen, die nicht wissen, wie sie die nächste (Atelier-)Miete zahlen sollen.

Das Auge trainiert vor dem Original

Während des Studiums an der Kunstakademie Düsseldorf gab es ein Proseminar von Professor Walter Jürgen Hofmann mit dem Titel „Übung vor Originalen“. Da stand man als Studierender im Düsseldorfer Kunstpalast vor dem riesigen (429 x 284 cm), auf Holz gemalten, Altarbild „Die Himmelfahrt Mariae“ von Peter Paul Rubens und der Professor forderte auf, das Bild ausschließlich durch genaue Betrachtung zu verstehen und zu interpretieren. Nach einer Weile gab es Hilfestellung des Lehrenden, und so stellten wir u.a. gemeinsam fest, dass das Bild oben abgeschnitten worden war, um es für die Bude des Kurfürsten passend zu machen. Im Kunstpalast zu stehen und zu dieser umfassbar großen Malerei hinaufzublicken und dabei zu versuchen zu verstehen, wie jemand von Hand ein solches Gewerk schaffen konnte, ist ein Moment in meinem Leben, den ich nie wieder vergessen werde.

Wenn ich mit dem Smartphone in der Hand auf Instagram eine Abbildung größer ziehe um zu sehen, wie etwas gezeichnet wurde oder wenn ich die Ausstellungsansichten von Peter Josef Abels Ausstellung auf die sipgate shows Webseite hochlade, freue ich mich auf den Moment, physisch im gleichen Raum wie die Werke zu sein, nah ranzugehen, zu riechen, Schatten zu sehen. Und ich freue mich darauf, dieses Erlebnis mit anderen zu teilen, mit ihnen zu diskutieren oder ihnen zuzustimmen, ihnen Komplimente zu machen, eine bleibende Erinnerung zu schaffen.

Peter Josef Abels bei sipgate shows

Die Antwort der Kreativszene: gemeinsam statt einsam

Gerade jetzt wichtig ist, nach Alternativen zu suchen, wie Kunst erfahrbar und präsent bleibt, ohne dass wir uns in dem selben Raum befinden können. Eine Solidarisierung findet statt, zwischen Makers und Supporters oder auch direkt von Maker zu Maker: Musiker*innen sitzen vor dem Rechner und spielen Akustik-Versionen ihrer neuen Songs, Autor*innen lesen im Wohnzimmer im Pyjama aus ihren neuen Büchern und stellen das auf Videoplattformen, Künstler*innen verkaufen direkt an Follower und Kolleg*innen kaufen.

Ich fahre vom Atelier mit dem Fahrrad am Rhein längs mit seinen versprengten Spaziergänger-Duos nach Hause und sehe eine Freund*in und es kommt mir vor, als würde ich in einer fremden Welt völlig überraschend auf ein bekanntes Gesicht treffen. Der erste Impuls ist Dankbarkeit, die direkt einhergeht mit Verwirrung, was die Begrüßung betrifft. Umarmen geht nicht, Händeschütteln keine Option, wie groß ist der Abstand, wer hat hier gehustet und aus welcher Richtung weht der Wind? Als Scherz kursierte unlängst im Netz der Gedanke, 2020 sei so mies, dass das Jahr schon jetzt als beendet betrachtet würde und man sich entschieden hätte, in der folgenden Woche direkt mit 2021 anzufangen. Ein klassischer Ansatz. Wer mag schon ein Projekt verfolgen, das sich verhält wie ein Scheusal. Leider hat man in dieser Krise keine Wahl, da müssen wir durch, am besten so gemeinsam wie möglich, mit der nötigen Umsicht und dem gegenwärtig gebührenden Abstand zu einander.

See you soon

Die Kunst, die Musik, das Theater und das Festival brauchen die Präsenz der Menschen. Genauso wie Menschen die Erfahrung von Kunst brauchen, vor Originalen – egal ob Konzert, Lesung oder Ausstellung. Und wenn wir jetzt ein wenig auf den Moment warten müssen, wo dieses gemeinsame Erleben wieder möglich wird, ist es auch eine Chance, sich ihren Stellenwert noch einmal bewusst zu machen. Das gilt auch für die damit verbundenen Berufe, von der Kellner*in zur Kurator*in, der Bühnenbildner*in zur Autor*in oder Sänger*in.

Vorfreude sei die schönste Freude, heißt es. Und dieser Tage nehm ich jede Art von Freude. Hope to see you all real soon!

Ein Kommentar


Heike Heft:

Wow, ein super Artikel. Sollten viel mehr Menschen lesen und sich dazu Gedanken machen. Viele Gedanken wurden auf den Punkt gebracht und die jetzige Situation, gerade beim zufälligen Treffen von Bekannten, hervorragend aufgezeigt.

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