Retrospektiven als Motor der Verbesserung – Wie Veränderung von allen mitgetragen wird

Alex
20.09.2017 4 4:25 min

Es ist nicht einfach am Ball zu bleiben. Das Rad der wechselnden Technologien dreht sich immer schneller und man braucht gut funktionierende Teams, um Projekte erfolgreich umzusetzen. Und diese Teams müssen sich ständig weiterentwickeln. Wie kann das gelingen, ohne alle zu überfordern. Wie wird man eine „lernende Organisation“?

Wir bei sipgate haben verschiedene Mechanismen, um uns immer wieder zu verbessern. Einer davon ist die Retrospektive.

Was sind Retrospektiven?

Retros sind eine fantastische Möglichkeit sich als Team und als Unternehmen stetig zu verbessern. Es ist reservierte Zeit, in der man die letzten Wochen betrachtet und Verbesserungsmöglichkeiten durchdenkt. In einer Retrospektive tauschen die Teilnehmer ihre verschiedenen Sichtweisen aus und ermöglichen so ein besseres, gegenseitiges Verständnis. Darauf aufbauend formuliert das Team Experimente: Kleine Änderungen, die es ausprobieren wird und die hoffentlich Verbesserungen mit sich bringen.

Daten sammeln in der Retro

Wichtiges Grundprinzip hierbei: Die Mitglieder des Teams formulieren die Initiativen selbst und verpflichten sich auf freiwilliger Basis, diese umzusetzen. Das stärkt das Verantwortungsgefühl und erhöht die Akzeptanz für die Veränderungen. Das unterscheidet diesen Weg fundamental von zentralen Change-Initiativen, die sich irgendeine Gruppe im Unternehmen ausdenkt, auf alle anderen Kollegen ausrollt und die dann nicht mitgetragen oder sogar aktiv bekämpft werden. Bei einer Retrospektive löst das Team seine eigenen, ganz konkreten Probleme.

Die anvisierten Verbesserungen probiert man für einen bestimmten Zeitraum aus, z.B. für zwei oder sechs Wochen. Falls sich Änderungen in der Praxis als „Verschlimmbesserungen“ entpuppen, nimmt man sie bei einer späteren Retro zurück und probiert stattdessen etwas anderes. Denn Retrospektiven finden bei uns regelmäßig statt.

In traditionellen Firmen macht man so eine Retrospektive manchmal am Ende eines Projekts und nennt sie dann „Post mortem“ und leitet „Lessons learned“ ab. Das ist dann oft ein laaaanges Meeting.

Im Gegensatz dazu sind Retros bei uns so genannte „agile Retrospektiven“. Sie sind kurz und wir machen sie oft und regelmäßig, z.B. 90 Minuten alle zwei Wochen. Das, woran wir arbeiten, ist dann noch in vollem Gange und wir können auf Schwierigkeiten direkt reagieren. Alle Erkenntnisse, die wir gewinnen, können wir sofort auf das laufende Projekt anwenden.

Wer nimmt an einer Retrospektive teil?

Retrospektiven sind auch ein fester Bestandteil des Scrum-Frameworks. Scrum ist eine agile Arbeitsweise, die vor allem in der Softwarentwicklung weit verbreitet ist und auch auf andere Teams übertragen werden kann. Teilnehmer einer Retrospektive sind alle Mitglieder des Umsetzungsteams, der Product Owner (PO) und der Scrum-Master (als Moderator). Wenn es um ein Thema geht, dass noch weitere Personen betrifft, lädt man diese mit ein.

Natürlich kann man auch Retros mit der ganzen Firma machen. Das macht man dann im Normalfall seltener.

Wie läuft eine Retrospektive ab?

Im Wesentlichen beantwortet man als Team 3 Fragen:

  • Was hat gut funktioniert? Wann haben wir gut zusammengearbeitet?
  • Was hat nicht gut funktioniert? Wo kann man etwas verbessern?
  • Was, von dem wir uns eine Verbesserung erhoffen, werden wir jetzt ausprobieren?

Learning Matrix

Natürlich geht das auch elaborierter! Dadurch erhöht sich die Qualität der Erkenntnisse und Verbesserungsvorschläge auch stark. Es gibt einen Standardablauf durch 5 Phasen, der im Quasi-Standardwerk „Agile Retrospectives“ beschrieben wird:

  1. Voraussetzungen schaffen
    Ziele definieren; Leute „ankommen“ lassen
  2. Daten sammeln
    Sich zusammen erinnern und einen gemeinsamen Pool an Infos aufbauen (jeder sieht die Welt ein bisschen anders)
  3. Einsichten haben
    Warum ist alles so gekommen wie es kam? Gibt es Muster? Was ist das „Big picture“?
  4. Aktionen beschließen
    Mit welchen konkreten Schritten kann das Team Verbesserungen erzielen?
  5. Abschließen
    Wie geht es nun weiter? Wertschätzen; Klaren Schlusspunkt setzen; Was kann man an der Retrospektive selbst verbessern?

Für jede Phase gibt es verschiedene Methoden, um Ideen und Interaktionen zu steigern. Beispiele gibt es im Retromaten.

Was sind Retrospektiven NICHT?

  • Forum für Vorwürfe
    Es geht nicht darum, Schuld zuzuweisen und sich selbst reinzuwaschen. Eher im Gegenteil: Manche Moderatoren beginnen Retrospektiven, indem Sie die „Oberste Direktive“ vorlesen:

    „Unabhängig davon, was wir entdecken werden, verstehen und glauben wir aufrichtig, dass in der gegebenen Situation, mit dem verfügbaren Wissen und Ressourcen und unseren individuellen Fähigkeiten, jeder sein Bestes getan hat.“

    Die Vergangenheit kann man nicht mehr ändern. Es geht darum, was man in Zukunft anders machen will.
  • Ein Laber-Meeting ohne Folgen
    Wenn man sich in den Retros nie auf konkrete Änderungen einigt oder die beschlossenen Aktionen nicht umsetzt, sind Retros verschwendete Zeit. Wer mit Retrospektiven anfängt, sollte einplanen, dass man hinterher für manche Verbesserungen Zeit braucht, um sie umzusetzen.

Fazit nach 7 Jahren mit Retros

Wir verdanken Retrospektiven viele gute Initiativen und Work Hacks. Es ist erstaunlich, wie sich kleine Änderungen aufaddieren zu weitreichenden Verbesserungen. Das ist wie ein Zinseszinseffekt.

Was sind Ihre Erfahrungen? Haben Sie schon mal an einer gut moderierten Retrospektive teilgenommen? Was hat es Ihnen und dem Team gebracht?

4 Kommentare


Andreas:

Erstmal: Toller Artikel! Gut und vorallem auch verständlich und nachvollziebar ge-/beschrieben.

Finde die Idee der „Schwarmintelligenz“ (ich nenne es mal ganz einfach so) absolut spannend.
Ich glaube das sehr viel Potential vergeudet wird, wenn man nicht das „Team“ mitnimmt… bzw. das Team „machen lässt“. (Natürlich in einem abgesteckten Rahmen)

Ich glaube es gibt noch viel zu wenig Firmen die Retrospektiven nutzen, bzw. die Verantwortung auch an die Mitarbeiter abgeben und denen dadurch auch eine ganz anderes Gefühl von Wertschätzung und Firmenbindung geben.

Hut ab, das es bei Euch scheinbar schon seit 7 Jahre funktioniert.

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Özgür:

Hallo Corinna,

vielen Dank für diesen Tollenartikel und die Einblicke in eurer Arbeitsweise. Das finde ich super.
Der Link zum Work Hacks führt leider zu einer Fehlerseite. Ich würde gerne noch weiter über eure agile Herangehensweise erfahren.

Grüße aus Herten

antworten

Doris Weißgerber:

Retrospektiven funktionieren nach meiner Erfahrung nur, wenn das Team ausreichend Zeit für sein Tagesgeschäft erhält, gemäß Agilem Manifest in „sustainable pace“ arbeiten kann und nicht von außen unter Druck gesetzt wird. Steht der Kessel aufgrund eines ambitionierten Push-Pensums unter Dampf, schwitzen in einer Retrospektive alle MItglieder, weil sie in dieser Zeit auch noch etwas hätten „abarbeiten“ können. In einem solchen Setting wird wahrscheinlich fast jede Retrospektive eher als Belastung denn als Hilfe wahrgenommen.

antworten

    Corinna:

    Hi Doris!
    Ich würde da nochmal einen Unterschied machen: Gerade wenn viel Druck auf dem Kessel ist, sind Retros wichtig um einmal durchzuschnaufen und zu gucken, wie man diese Situation verbessern kann. Retros sind aber nur sinnvoll, wenn sich hinterher auch was verändert. Wenn im Nachgang nie etwas passiert, dann kann man sich Retros tatsächlich schenken.

    Meine 2ct. Liebe Grüße, Corinna

    antworten

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