„A long, long time ago
I can still remember how that music used to make me smile…“
Ein schwerer Verlust verlangt nach Zäsur und Reflexion. Der Zeitpunkt hierzu scheint gekommen. Zu Grabe tragen wir heute die Netzneutralität.
Jahrelange, zermürbende Debatten über Netzneutralität haben außer einem butterweichen Rechtsrahmen keinerlei Ergebnis hervorgebracht. Das wesentliche Argument gegen Netzneutralität war dabei immer, dass die Sicherung der Dienstequalität eine Differenzierung von Qualitätsklassen nötig mache. Nur dadurch könnten Netzbetreiber flexibel auf die Anforderungen von Diensten reagieren und Innovation ermöglichen. So trug es unter anderem die Deutsche Telekom vor nicht all zu langer Zeit der Enquete-Kommission Internet und Digitale Gesellschaft vor.
Erhebliche Teile der Diskussion wurden von konstruierten Scheinproblemen beherrscht, die letztlich vor allem das mangelnde technische Verständnis des Vortragenden dokumentierten:
- Sollen Ärzte im OP wirklich auf Röntgenbilder warten, nur weil ein File-Sharer nebenan mit illegal übertragenen Inhalten die Leitungen verstopft?
- Ist ein Notruf nicht immer wichtiger, als das Skype-Geturtel zweier Verliebter an einem ganz normalen Fernbeziehungsfeierabend?
Einzig allein eines versteckte sich bis vor Kurzem – ein Produkt, das Ergebnis einer Zusammenarbeit eines Netzbetreibers und eines Diensteanbieters war. In den letzten Tagen zeigte nun ein erstes, solches Produkt seine hässliche Fratze. Es hört auf den Namen: Spotify.
Im Strom der IFA-Neuigkeiten, fand sich die Meldung, dass Spotify von T-Mobile als „Buchungsoption“ angeboten werden soll. T-Mobile möchte Ihren Kunden Musik-Streaming von Spotify gegen ein pauschales Entgelt anbieten – ohne, dass das für Spotify genutzte Datenvolumen in irgendeiner Form angerechnet wird.
Interessanterweise steht hier ausschließlich die Abrechnung im Vordergrund. Kein Wort mehr von dem Qualitätsversprechen. Wie denn jetzt? Genießt denn nun die störungsfreie Wiedergabe von Shakira Priorität vor den Videokonferenzen der Kinderkrebskliniken oder nicht?
Weder in der Produktwerbung noch in der Pressemitteilung wird Qualität auch nur mit einer Silbe erwähnt. Es geht einzig um den Preis. Als sipgate vor wenigen Wochen eine qualitätsgesicherte Zuführung von Daten aus dem T-Mobile-Netz anfragte, wurde uns knapp beschieden:
„Nach Rücksprache mit dem Produktmanagement und der T-Mobile, können wir Ihnen leider diese Form der Zuführungsleistung nicht anbieten. Begründet ist damit [sic], dass es für diese Leistung keine freigegebene technische Lösung für eine Übergabe des Traffics gibt.“
Anders formuliert: T-Mobile ist technisch nicht in der Lage, eine qualitätsgesicherte Zuführung von Mobilfunkverkehren zu Diensten sicherzustellen. Es besteht somit nicht einmal technisch die Möglichkeit, qualitätsgesicherte Produkte in Zusammenarbeit mit Dienstearbeitern umzusetzen.
Hierbei zeigt sich endlich eines ganz offen: Das Qualitätsargument der Netzneutralitätsgegner ist vorgeschoben.
Die Strategie der Telekom Deutschland scheint ebenfalls klar zu sein. Bereits seit einiger Zeit bietet T-Mobile mit Mobile TV einen eigenen Dienst, dessen Datennutzung dem Kunden nicht gesondert berechnet wird. Gleiches gilt sinngemäß auch für den angekündigten Dienst e-RCS a.k.a. Joyn.
Allen diesen Diensten ist gemein, dass eine gesonderte Berechnung der genutzten Daten durch eine Bepreisung des Dienstes ersetzt wird. Im Ergebnis führt dies zu einer Re-monopolisierung der Netze.
Zwar steht mit den Telekommunikationsgesetz prinzipiell ein Werkzeug zur Verfügung, mit dem Diensteanbieter unter Umständen einen Netzzugang mit Hilfe der Bundesnetzagentur erzwingen könnten. Nachdem wir die Erfahrung machen mussten, trotz klarer Rechtslage im Laufe von sieben Jahren keine Mobilfunkrufnummern von der Bundesnetzagentur zu erhalten, darf an der Wirksamkeit der Bestimmung jedoch gezweifelt werden.
Schwerwiegender noch: Ein solcher Zugang zementiert eine Marktstruktur, an der weder Verbraucher noch innovative Unternehmen ein Interesse haben können. Er versetzt Netzbetreiber in die Lage, mittels wirtschaftlicher Zwänge darüber entscheiden zu können, welche Dienste sie in Ihrem Netz monopolisieren möchten, welche sie über Partner monetarisieren möchte und welche Sie im Internet, wie wir es heute kennen, belassen möchten.
Wurde bislang argumentiert, dass Compuserve dem Internet aufgrund seiner Dienstevielfalt weichen musste, und schon allein deshalb eine verbindliche Festschreibung von Netzneutralität unnötig wäre, so muss man leider einsehen, dass die Angebot/Nachfrage-Dynamik nun eine andere ist. Die Nachfragemacht des Verbraucher läuft ins Leere, ersetzt T-Mobile doch selektiv einzelne Dienste. Aus Sicht eines einzelnen Verbrauchers ist es dadurch zunächst nicht wirtschaftlich, Internetdienste, die nicht mit T-Mobile zusammenarbeiten, nachzufragen. Dieses Modell „Compuserve+“ führt mittelfristig zu einer Konzentration der Diensteanbieter zum Nachteil des Kunden.
Diese Erkenntnis setzt sich bei zahlreichen Beobachtern durch. Also jetzt alle den Abgesang:
„Them good ol‘ boys were drinking whiskey and rye, singing…
This’ll be the day that I die!“
36 Kommentare
Chuck:
Na, da werden sich die EarlyAdopter des Telekom-Glasfaserangebots ja freuen, dass sie Spotify jetzt geniessen können, ohne dass es aufs Drosselungslimit angerechnet wird.
http://www.heise.de/newsticker/meldung/Telekom-drosselt-Glasfaseranschluesse-1476015.html
Mal schaun, wann die Bedingungen auch zum ’normalen‘ DSL durchsickern und mehr Kunden Datenhaushalt betreiben und dann die Hauspartner der Telekom wählen…
Stefan W.:
Ich muss zugeben, dass bei mir auch der Groschen nicht gleich fiel.
Ja, man könnte damit leben, dass es keine Netzneutralität gibt, wenn man selbst bestimmen würde, was bevorzugt wird (was wohl mit leichtem Router-Voodoo geht).
Noch nicht klar ist mir, was das Interesse der Telekom ist oder sein sollte, Spotify oder andere zu bevorzugen.
Was ich leicht verstehe, ist, dass sie Dienste, die sie selbst teurer verkaufen, also VoIP/Telefon Chat,Jabber/SMS benachteiligen wollen.
Ist Spotify ein kostenpflichtiger Dienst, und bekommt die Telekom etwas davon ab, wenn die gestreamt werden?
Nils:
Konkurrenzdruck kann hier allein schon keine Abhilfe schaffen weil es im Mobilfunkmarkt keinen Wettbewerb gibt.
Mo:
Wenn ich mir die Preisentwicklung anschaue, dann wird das Thema sich bald von selbst erledigt haben.
Bei einem Festanschluss ist der Traffic meist eh schon unbegrenzt, Mobil versuchen die Anbieter durch Drosselung nach 300MB trotz Flatrateangbot doch noch etwas dazu zu verdienen, aber das hält wohl auch nicht mehr lange.
Chuck:
Ein Schelm, wer böses dabei denkt…:
http://www.golem.de/news/deutsche-telekom-software-update-ist-schuld-an-whatsapp-ausfall-1209-94378.html
Mal schaun, wann nur noch der (kostenpflichtige) SMS-Nachfolger Joyn zum mobilen Chatten funktioniert (trotz „Flatrate“)
@Stefan Meine Vermutung (die sich nur aus Vorurteilen speist):
Wenn Spotify seine Server in Rechenzentren der Telekom betreibt oder zumindest ans Autonome System der Telekom anschliesst (d.h. der ‚Teil‘ des Internets, der von der Telekom verwaltet wird), fallen für die Telekom keine Durchleitungskosten o.ä an, da alles im Heimnetz passiert.
Bei anderen Anbietern gehen die Daten ggf. über mehrere AS hinweg geroutet… (manchmal haben verschiedene Anbieter Routingabkommen untereinander, manchmal nicht und müssen per gerouteter Datenmenge zahlen).
Und für Spotify ergibt sich natürlich ein Logenplatz…
Norbert:
@Thilo
Ah, ok. Wenn Notrufe und Telefonate bevorzugt würden oder live-Streams, fände ich das auch plausibel, aber wenns nur um streaming von Nicht-Live-Inhalten geht …
Nico:
Netzneutralität selbst gemacht … auf Umwegen. Dem freundlichen Monopolisten in Magenta habe ich erst vor wenigen Minuten gezeigt, dass ich es nicht mag wenn man man meine Verbindung überwacht bzw. filtert: Anschluss hier ist über HSDPA geregelt (weil aus der festen Leitung bei DSL 3000 Schluss ist). Also UMTS … UMTS von der Telekom = 7,2 MBit runter und ca. 2 MBit Upload. Was nicht ging war VoIP, Skype und der Datenverkehr wurde gefiltert (Bildkompression, etc.) siehe: http://blog.sky-bizz.com/2011/01/14/der-umts-wahnsinn-hat-noch-schlimmere-auswirkungen/
Lösung: openVPN auf einem Root-Server von Hetzner laufen lassen, Client auf einem DD-WRT Router und alle Geräte hinter den „Tunnel“ geklemmt. Geschwindigkeit wie vorher, VoIP funktioniert wieder prima mit Sipgate (halbe Stunde Telefonat ohne Probleme bis jetzt), Skype geht und die Daten werden nicht gefiltert.
Allerdings ist diese Lösung wohl nichts für den Normal-Konsumenten.
Eddi:
(Ich hatte hier schon so viel Geschrieben und es wieder gelöscht…) Dass Quality of Service betrieben wird hat niemand gesagt, das Krebskranke Kind kann also trotzdem seine Skype Verbindung aufbauen, der Unterschied ist halt nur, dass auf den Monat verteilt (bei mir z.B.) 500 statt 100MB über das Mobilfunknetz geladen werden können. Das kann ich auch wenn ich 5 Euro mehr für einen anderen Vertrag ausgebe, ist dass auch gleich ein Einschnitt der Netzneutralität?
Es gibt wie du oben geschrieben hast auch 1000 Szenarien in denen das krebskranke Kind auch ohne Spotify Nutzung anderer User auf seine Skype Verbindung verzichten muss. Selbst beim Quality of Service gehts nicht darum andere zu benachteiligen sondern die angenehme Mediennutzung zu schaffen. Es ist unzumutbar ruckelnde Videos an zu gucken und dafür viel Geld zu zahlen.
Ich sehe das Problem eher darin, dass die Provider immer mehr Verkaufen als sie bieten können. 100 MBit/s in der Stadt obwohl das Netz in Spitzenzeiten nur 20 MBit/s hergibt, naja, 100 verkaufen sich halt besser. Oder LTE im iPhone verspricht geschwindigkeitszuwachs, ja, die Homepage ist in 30 Millisekunden runtergeladen, das Handy braucht aber 100 mal so lange um die Seite darzustellen, es bringt also 0 Vorteil, verkauft sich aber gut.
Das ist wie überall, wer glaubt und sich nicht informiert der verliert und wenn das Krebskranke Kind unter leeren Werbeversprechungen leiden muss ist es vielleicht nicht Schuld, aber irgendwer hat sich unzureichend informiert und das ist nunmal dumm. Unwissenheit schützt vor Strafe nicht, den Spruch hörst du auch wenn du in 20 Jahren an einem Verkehrsschild vorbei fährst dass du nicht kennst und nicht beachtest.
Frank Bind:
Mit Netzneutralität hat das ganze doch wenig zu tun. Netztneutralität heißt das alle Datenpakete mit der gleichen Priorität im Netz weitergeleitet werden egal welche Inhalts sie sind. Ob für einen bestimmten Teil des Traffics vom Nutzer Geld gezahlt wird oder nicht hat nichts mit Netzneutralität zutun.
Ali Bengali:
Hallo zusammen,
der Bericht ist zwar ein paar Tage alt – bin durch google nach spotify her gekommen und will auch meinen Senf loswerden:
Was die Telekom hier macht, ist schon bedrohlich für uns alle.
Es klingt als toller Service – aber damit sind automatisch nun schon alle Konkurenten von Spotify im T-Mobile Netz benachteiligt.
Der Verbraucher wird künftig immer stärker dazu getrieben sich aus dem Portfolio seines Netzbetreibers die Diensteanbieter auszuwählen.
Von einer „freien Wahl“ kann man hier also nicht mehr sprechen.
So hab ich zwar meine Flat (mit limit 300MB) – kann die Dienste, die ICH nutzen WILL nicht nutzen.
Für mich ist das eine Einschränkung in die Netzneutralität.
Es gibt dann „Premium Internet“ und „Netzbetreiber gesteuertes Internet“.
Das wirft uns Jahrzehnte zurück. Wenn die Bandbreite/Traffic plötzlich sooo kostbar wird – dann muss trotzdem für jeden Musikstreaminganbieter so ein Flatrateangebot von der Telekom angeboten werden.
Das Beste jedoch ist, das Netz auf xx GByte Flatrate nutzen zu können. So kann jeder SELBST entscheiden, mit welchen Diensten er die Flatrate nutzt!!!!
Malte:
Es könnte sein, dass Aldi bald ein ähnliches Konzept startet.
http://www.sueddeutsche.de/digital/neuer-spotify-konkurrent-aldi-steigt-ins-musik-streaming-ein-1.2659302